Surrealer Trip ins Herz von Alfred Kubin

 

Joseph Berlingers fast vergessener Film „Der Damenherr“ läuft im Andreasstadel.

MZ-Autor Peter Geiger sprach mit ihm

 

 

Die Tuschezeichnung „Umschnürung Il“ Foto: Oberösterreichisches Landesmuseum/Eberhard Spangenberg/VG Bild-Kunst Bonn 2016
Die Tuschezeichnung „Umschnürung Il“ Foto: Oberösterreichisches Landesmuseum/Eberhard Spangenberg/VG Bild-Kunst Bonn 2016

 

 

Alfred Kubin war eine Mehrfachbegabung. Als Maler wie als Autor vermittelte der 1877 im böhmischen Leitmeritz geborene Künstler seinem Publikum Einblicke in verborgene Schattenwelten und Einsichten über „die andere Seite“ (so auch der Titel seines einzigen Romans). Der Regensburger Autor und Regisseur Joseph Berlinger hat vor rund 20 Jahren einen Film über Alfred Kubin gedreht. „Der Damenherr“ nähert sich knapp eineinhalb Stunden lang auf geheimnisvolle Weise Kubins Oeuvre. Das Kino im Andreasstadel zeigt den Film anlässlich der großen Kubin-Ausstellung im Kunstforum Ostdeutsche Galerie.

 

Woher rührt Ihr Interesse für Alfred Kubin?

Mich interessierte vor allem seine Persönlichkeit. Ich bin damals durch Zufall auf die surrealistischen Bilder von Emmy Haesele gestoßen. Kubin war ihr großes Vorbild, die beiden waren sehr bald ein leidenschaftliches Liebespaar. Haeseles Ehemann duldete die Affäre, Kubins Ehefrau ganz und gar nicht. Irgendwann trennte sich Kubin von Emmy. Die aber verfolgte ihn noch jahrelang. Heute würde man sagen, sie wurde eine Stalkerin.

 

Hatten Sie von Anfang an einen Film im Sinn?

Ich wollte diese Geschichte damals in einer Radiosendung erzählen, machte drei intensive Interviews mit drei Zeitzeuginnen über Kubin und sein Verhältnis zu Frauen. Das Radioprojekt scheiterte. Da beschloss ich, mit dem Tonmaterial einen abendfüllenden Film zu machen. Der Film wurde ein Zwitter. Dokumentarische Tonspur, fiktive, fiktionale Bildspur. Ich erfand eine Kunststudentin, die eine Reise nach Oberösterreich macht, zum Kubin-Museum nach Zwickledt. Und je näher sie dem Meister kommt, umso mehr gerät sie in den Bann seiner Träume und Visionen.

 

Mit wem haben Sie das Projekt realisiert?

Den Film habe ich dann mit Freunden und Bekannten aus der Regensburger Szene gedreht. Neben Anne Boeckh waren das Margarethe Zillich, Ursula Gaisa, Dido Nitz, Auguste Blau, Gülbin Elseven, Sepp Fischer, Werner Oswald, Rüdiger Eckel, Christoph Maltz, Rainer Johannes Hofmann, Tom Eyiip, Paul Hadwiger, Maximilian Bothschafter, Kay Bertl, Julius Kreupl, Wolfgang Schubert und andere.

 

Alfred Kubin war gebürtiger Böhme, der dann jahrzehntelang in Oberösterreich lebte. Er war also einer, der auch geografisch von „der anderen Seite“ kam. Für sein künstlerisches Selbstverständnis gilt das aber noch viel mehr, oder?

Ja, natürlich! Kubin interessierte sich zeitlebens für das Unbewusste, das Abseitige, das Verdrängte, für Träume, Alpträume und Visionen.

 

Grenzüberschreitend war auch die Titelrolle angelegt: Anne Boeckh stellt mit kahlrasiertem Schädel ja nicht nur den Künstler dar.

Nein, nein, sondern auch besagte Kunststudentin, die dieses mysteriöse Roadmovie erlebt. Erst als sie am Ziel ihrer Reise ist, in der „Arche“, dem verwunschenen kleinen Schloss von Alfred Kubin, erst dann holt sie die sogenannte Realität wieder ein. Im Abspann des Films läuft dann eine Führung durch das Kubin-Museum. Übrigens hat sich Anne Boeckh den Schädel nicht für den Film kahl rasieren lassen, den hatte sie sich zuvor schon kahl rasiert.

 

Sie haben diesen Film über Alfred Kubin vor rund 20 Jahren gedreht. Wenn Sie sich zurückerinnern: Wie näherten Sie sich damals dieser Figur? Und wie würden Sie heute diese spezifische Filmsprache bezeichnen?

Der Figur Kubin nähert man sich anhand seiner Zeichnungen und Briefe und anhand der Lektüre des schon genannten Romans. Meine Filmsprache wirkt 20 Jahre nach der Entstehung natürlich ziemlich langsam, wir alle haben uns heute an die extrem schnellen Schnitte gewöhnt. Auf meine Entscheidung, diesen Film radikal als Zwitter zu inszenieren, mit dokumentarischer Tonspur und fiktionaler Bildgeschichte, bin ich durchaus stolz. Ich zumindest habe sowas in dieser Form noch nicht und nicht mehr gesehen. Anders machen aber würde ich heute die Vorbereitung. Die war absolut schlampig. Es war ein sehr chaotischer Dreh, es musste permanent improvisiert werden, was nicht immer nur ein Vorteil ist.

 

Alfred Kubin war als Künstler ein Seher, ein Mahner und Warner. Heute, angesichts allgegenwärtiger Dystopien, wäre er doch fast einer, der sich inmitten des Mainstreams bewegt?

Nein, man darf ihn nicht mit heutigen Maßstäben messen. Für seine Zeit war er ein absoluter Avantgardist. Wer zwischen Erstem und Zweitem Weltkrieg in einem oberösterreichischen Bauernkaff nackt im Garten herumläuft und in seine Küche die Hühner und die Ziegen hereinlässt, und wer seine Frau wochenlang wegschickt, wenn wieder eine Freundin oder ein Modell ins Haus kommt, der bewegt sich nicht unbedingt inmitten des Mainstreams. Von seinen künstlerischen Motiven ganz zu schweigen.